Die (vermutlich) älteste Recruiterin der Schweiz

Bertha Frick hat in ihrem Leben schon viel erlebt. Die rüstige Seniorin hat fünf Enkelkinder. Viele Jahre war sie Mitarbeiterin in einer Textilfirma im Toggenburg und hat früher gerne die Hügel im Toggenburg bewandert. Heute lässt sie es etwas ruhiger angehen – es sei denn, die 92-Jährige ist gerade wieder als Recruiterin im Einsatz.

 

Kaum eine Branche wird vom Fachkräftemangel so durchgeschüttelt wie die Gesundheitsbranche. Und selbst da gibt es Bereiche, die es noch einen Tick härter trifft als andere. Die Alters- und Pflegeheime gehören dazu.

Hier sind echte Innovationen gefragt. Ralph Rütsche, der Geschäftsleiter des Seniorenzentrums Solino in Bütschwil, hat sie.

«Dass wir uns längst schon bei den Pflegenden bewerben müssen und nicht mehr umgekehrt, ist längst klar. Wir legen in unserer Institution besonderen Wert auf die Mitbestimmung unserer Bewohnerinnen und Bewohner. Um sie dreht sich alles hier. Somit ist es doch eigentlich naheliegend, dass ihre Meinung auch bei der Frage, wer sich im Alltag um sie sorgt, gefragt sein sollte», so der 43-Jährige, der erst vor knapp einem Jahr als Quereinsteiger die Leitung des Seniorenzentrums im Toggenburg übernommen hat.

Seine Idee: Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen ein gewichtiges Wörtchen bei Neuanstellungen mitreden. Und in der Konsequenz auch gleich in der Personalwerbung eine aktive Rolle einnehmen.

Gesagt getan.

In kürzester Zeit wurden Berta Frick und vier weitere Bewohnerinnen und Bewohner als, pardon, im wahrsten Sinne des Wortes «Senior Recruiter» ausgewählt und in einem Fotoshooting als Botschafterinnen und Botschafter für die Jobs im innovativen Seniorenzentrum in Szene gesetzt.

Besonders clever und budgetschonend setzten Geschäftsleiter Rütsche und seine Mitarbeitenden dabei auf das Medium, das generationenübergreifend im Einsatz ist: WhatsApp. «Wir haben die Jobs über die Statusmeldungen unserer Mitarbeitenden und sogar einiger Bewohnenden ausgespielt. Gratis und franko.» An einem Freitag starteten wir damit, und schon am Montag hatten wir die erste Bewerbung in unserer Mailbox. Eine ausgebildete Kollegin einer unserer Lernenden meldete sich.»

Bertha Frick und ihre Mit-Recruiter sind aber nicht bloss – zugegebenermassen hochsympathische – Job-Botschafterinnen und Botschafter. Weil eben Mitwirkung im Solino nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, ist Berta Frick auch in den Vorstellungsgesprächen mit dabei. Und das nicht irgendwo im anonymen Sitzungszimmer, sondern in ihren eigenen vier Wänden. Schliesslich sind die ein Stück weit auch der künftige Arbeitsplatz der gesuchten Pflegeprofis.

«Natürlich war das für alle Beteiligten neu und ungewohnt», sagt Ralph Rütsche, «und es gab manche lustige Szene. Wir haben alle viel gelacht – und genau das sollte doch eigentlich bei einem Jobinterview auch sein. Die Gespräche zu Dritt waren eine echte Bereicherung. Denn uns sind nicht nur die fachlichen Kompetenzen unserer Mitarbeitenden wichtig, sondern auch ihre Werte. Wie sie Auftreten, wie sie kommunizieren, was ihnen wichtig ist und ihre Empathie. Warum sollten wir bei der Auswahl der Mitarbeitenden die Erwartungen und den riesigen Erfahrungsschatz unserer Bewohnerinnen und Bewohner nicht auch angemessen mitberücksichtigen – ist doch eigentlich logisch, oder?»

Mehr Details zur Aktion hat mir Ralph in einem Gespräch im Café Rüdisüli verraten. 

Die Erfahrungen sind positiv. Jetzt schalten die Verantwortlichen des Seniorenzentrums einen Gang höher und starten in diesen Tagen eine Social Media – Kampagne, um noch mehr Reichweite zu genieren.

Ich finde: Einfach genial. Und besonders sympathisch: Die Idee hat Ralph Rütsche selbst ersonnen. «Ich war an einem spannenden Vortrag unserer Branchenorganisation Curaviva. Dieser hat mich so sehr inspiriert, dass ich noch auf dem Heimweg diese Idee skizziert und zusammen mit meinem Team und den Bewohnerinnen und Bewohnern in knapp 5 Wochen umgesetzt habe.»

Grossartig, ich ziehe meinen Hut und gratuliere meiner neuen HR-Kollegin Bertha Frick, allen ihren pfiffigen Kolleginnen und Kollegen und Ralph Rütsche und dem ganzen Team zu dieser frechmutigen Idee.

Auf Wiederlesen.