2 Jahre «Bei Anruf… Ausbildung!» Die Erfolgsrechnung

Über den Fachkräftemangel jammern, tun viele. Wirklich etwas dagegen unternehmen, schon bedeutend weniger. Nicht so der Caritasverband Düsseldorf. Wer dort zum Hörer greift, hat den Ausbildungsjob. So das Versprechen. Krass. So etwas kann ja nicht funktionieren. Oder etwa doch?

 

Ich gestehe: Mein Personalerreflex sprach kurz und heftig an, als ich vor knapp zwei Jahren im wunderbaren Blog von Henner Knabenreich vom radikal einfachen Bewerbungsverfahren beim Caritasverband Düsseldorf las. Einfach anrufen und einen Ausbildungsjob ergattern?

 

Pardon, aber das kann ja nicht funktionieren. Die Abbruchquote muss doch horrend sein, wenn Krethi und Phleti so einfach zu einem Job kommen können. Was für ein Trugschluss.

 

Der Caritasverband Düsseldorf e.V.

Doch der Reihe nach. Der Caritasverband Düsseldorf e.V. betreibt im Stadtgebiet sieben Altenpflegeeinrichtungen, eine Caritas-Pflegestation, Hausgemeinschaften für Menschen mit Demenz und ein Hospiz. 1500 angestellte Mitarbeitende sorgen zusammen mit über 2000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern für eine fachgerechte Beratung, Betreuung und Hilfe rund um die Uhr. Der Bedarf an Pflegefachkräften ist gross, ganz besonders in der Altenpflege. Und er wird weiter zunehmen, schliesslich werden wir ja immer älter.

 

Altenhilfe: (K)Ein Traumberuf

Fragt man Kinder und Jugendliche nach Ihrem Traumberuf, stehen noch immer Polizist, Tierärztin oder Pilot ganz oben auf deren Hitliste. Die Berufe in der Altenpflege sucht man da vergebens. Schade eigentlich, denn in diesem Job bieten sich ausgezeichnete Karrierechancen und er ist absolut zukunftssicher. Und die Bezahlung? Besser, als so manche/r glaubt.

 

Gute Pflege braucht gute Mitarbeitende

Alte und pflegebedürftige Menschen erwarten eine menschliche und fachlich hochwertige Pflege. Pepper, den der Caritasverband Düsseldorf zum zweijährigen Jubiläum der Aktion «Bei Anruf… Ausbildung» engagiert hat, dürfte da kaum die Lösung sein. Als Entertainer und Publikumsmagnet – schön und gut. Aber als Pfleger?

 

 

Für eine richtig gute Pflege sind wohl noch viele Jahrzehnte gut ausgebildete Mitarbeitende alternativlos. Die Nachfrage ist enorm. Vor dem Hintergrund des wachsenden Bedarfs und des bereits eingetretenen Fachkräftemangels in der Pflege hat der Caritasverband Düsseldorf zur Gewinnung von Auszubildenden im Juni 2017 eine besondere Aktion zur Nachwuchsgewinnung für die Pflegeberufe ins Leben gerufen:

 

«Bei Anruf… Ausbildung!».

Ich habe mal in Düsseldorf vorbeigeschaut, um mir anlässlich des zweijährigen Geburtstags der Kampagne selber in Bild zu machen.

 

 

Rainer Schlaghecken und Stephanie Agethen haben mich aus erster Hand informiert.

 

Sag’s doch schnell per Telefon

Der Caritasverband Düsseldorf hat die Bewerbungshürden radikal herabgesetzt. Das Versprechen: Interessierte jeden Alters erhalten einen Ausbildungsplatz in der Pflege – ohne aufwendiges Bewerbungsverfahren und ohne Vorstellungsgespräche im herkömmlichen Sinne.

 

 

Die Kontaktaufnahme ist unendlich einfach und es scheint fast so, als hätten sich die Verantwortlichen von einem Werbeslogan der Schweizerischen Post aus den 1980-er Jahren inspirieren lassen: „Sags doch schnell per Telefon“, so lautete dieser. In Düsseldorf heisst das: Einfach die 0211 1601-1000 anrufen und sein Interesse an einer Anstellung bekunden – kein mühsames Herumschlagen mit den unsäglichen Bewerbungsschreiben und ähnlichem.

 

…. und es klingelte

440 mal klingelte das «Bei Anruf… Ausbildung» – Smartphone in den beiden letzten Jahren, das 441ste Mal just, als ich mich mit Rainer Schlaghecken, dem Referatsleiter, beim Mittagessen über die Vorgehensweise unterhielt. «Einen Moment, da muss ich eben mal ran», entschuldigte sich der sympathische Rheinländer und nahm den Anruf entgegen. Das nenne ich persönliches Engagement.

 

Beratung first

Alle Anruferinnen und Anrufer erhalten von Fachpersonen eine qualifizierte Erstberatung – und zwar jederzeit, rund um die Uhr. Verschiedene Personen aus dem Leitungsteam teilen sich das «Piketthandy».

Nach einer Erstberatung folgt dann die unkomplizierte Einladung an einen Informationsanlass, der zweimal wöchentlich stattfindet. 320 Personen haben in den letzten beiden Jahren diese Chance genutzt, um schon ein erstes Mal in die Pflegewelt hineinzuschnuppern, sich genauer über die Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren – und sich allenfalls gleich vor Ort für eine Ausbildung zu entscheiden.

 

Die richtige Ausbildung

Geeigneten Bewerberinnen oder Bewerber, welche die formalen Voraussetzungen nicht oder noch nicht mitbringen, werden berufliche Alternativen angeboten, wie etwa eine Ausbildung in der Pflegeassistenz, ein Fachpraktikum oder die Absolvierung eines freiwilligen sozialen Jahres oder im Bundesfreiwilligendienst.

 

… und es funktioniert!

Kann eine derart frechmutige Idee funktionieren? Sie kann! Der Mut der Verantwortlichen zahlt sich aus. Waren 2017, also vor der Umstellung des Verfahrens, noch 27 Auszubildende in einer Ausbildung in der Altenpflege, so stieg die Zahl auf aktuell 106 Altenpflegeschülerinnen und -schüler, die aktuell die Schulbank drücken und intensiv Praxiserfahrung sammeln.

 

Zwischenbilanz nach zwei Jahren

Die aufsehenerregende Kampagne hat sicher einen Löwenanteil an diesem Erfolg. Ein weiterer Faktor dürfte sein, dass sich der Caritasverband Düsseldorf gezielt und hochprofessionell auf Interessierte mit Wurzeln im Ausland und auch auf Geflüchtete eingestellt hat. Fast jede/r zweite Azubi hat einen Migrationshintergrund, 10 sind aus ihrer Heimat geflüchtet.

Auch die Altersspanne ist interessant, sie reicht von 16 bis 53. Im Schnitt sind die Azubis 29 Jahre jung.

Der Caritasverband gibt bei erfolgreichem Ausbildungsabschluss eine Übernahmegarantie in einem der Düsseldorfer Alterszentren. Für viele ist die Ausbildung eine grosse Chance, um in Deutschland Fuss zu fassen. Brice Momo ist einer von ihnen. Andere nutzen das Angebot der Caritas, um sich beruflich neu zu orientieren. So wie Stefan Hallen, der sein Studium abgebrochen hat, um sich in der Altenpflege zu engagieren. Hier berichten sie über Ihre Erfahrungen.

 

 

Gigantische Abbrecherquote – oder etwa doch nicht?

Und wie steht es denn nun mit der Abbrecherquote? Die ist gestiegen, wie zu erwarten war. Aber in einem absolut überschaubaren Verhältnis, nämlich von 5 % auf 12 %. Naja, werden sich nun die Dauerpessimisten die Hände reiben, das ist ja mehr als das Doppelte! Ja sicher. Die Rechnung ist aber doch eine ganz andere und endlich kann ich wieder einmal meine Rechenkünste aus der Schulzeit unter Beweis stellen:

Wenn von 106 Personen 12 % abbrechen, bleiben 93 Absolventinnen und Absolventen übrig.

Wenn von 27 Personen 5 % abbrechen, bleiben 25 übrig.

93 ist besser als 25.

Oder?!

Also ich wüsste, welche Methode ich wählen würde. Davon abgesehen ist die Quote noch immer im Bereich dessen, was auch anderswo mit herkömmlichen Auswahlverfahren an Abbrüchen in Kauf genommen werden muss.

Bei Anruf Ausbildung? Definitiv ne coole Sache!

 

Taten statt Worte auch bei der Integration von Geflüchteten

«Doch es reicht nicht, einfach die Ausbildungsplätze zu besetzen», sagt Stephanie Agethen, Pressesprecherin vom Caritasverband Düsseldorf. «Durch die enge Kooperation mit dem Caritas Fachdienst für Integration und Migration ist es uns gelungen, für zahlreiche Geflüchtete eine berufliche Perspektive in den Caritas-Altenpflegezentren zu finden. Natürlich ist es gerade für diese Menschen nicht nur mit einem niedrigschwelligen Bewerbungsverfahren getan, da müssen wir einfach mehr Unterstützung leisten – und das tun wir auch!»

 

Kein Selbstläufer

Das Ausbildungskonzept sieht zahlreiche begleitende Maßnahmen vor, um die Auszubildenden bis hin zum erfolgreichen Berufsabschluss zu fördern. Zu diesen Maßnahmen gehören intensive Sprachschulungen, Förderunterricht in der Berufskunde sowie individuelle Coachings, die die persönlichen Kompetenzen der Azubis umfassend unterstützen. Die zahlreichen Förderprogramme werden von zwei Berufsbildungsbeauftragen koordiniert, die sich ausschließlich um die Anliegen der Auszubildenden in der Altenpflege kümmert. Da wird also auch nach der Unterschrift unter den Ausbildungsvertrag richtig viel getan.

 

Die Azubi-WG

«Als zusätzliches Angebot haben wir für unsere Auszubildenden sehr preisgünstige Wohnmöglichkeiten geschaffen, um jungen Menschen aus anderen Regionen den Einstieg in die Altenpflegeausbildung in Düsseldorf zu erleichtern», berichtet Stephanie Agethen weiter. «In drei Wohngemeinschaften an zentralen Orten der Stadt haben 15 Auszubildende ein WG-Zimmer erhalten. Und wir streben einen weiteren Ausbau des Wohnraumangebots an – nicht nur für die Pflege, sondern beispielsweise auch für Erzieherinnen und Erzieher, ein weiterer Mangelberuf. Den Auszubildenden in den WGs steht selbstverständlich ein fester Ansprechpartner bei uns zur Verfügung.»

Ein wahres Frechmutfurioso, das da in Düsseldorf praktiziert wird.

Grossartig, ich ziehe meinen Hut!

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